Und doch. Es gab seit Anfang der 1980er-Jahre Hoffnung, die allgegenwärtige Norm zu lockern und vielleicht sogar in eine neue Verhandlungsrunde über den mehrheitsgesellschaftlichen Begriff von Normalität treten zu können.
Lesben und Schwule hatten sich in Berlin und in Leipzig zusammengefunden und dort regelmäßige Treffen organisiert. 1982 hatte sich unter dem Dach der evangelischen Kirche der DDR-weit erste Arbeitskreis Homosexualität gegründet. Die bisherige Definition von Homosexualität als Krankheit wurde in der Medizin revidiert und schrittweise aufgegeben. An einigen Universitäten wurde darüber diskutiert, dass es Aufgabe des Sozialismus sei, allen Menschen ungeachtet ihrer sexuellen Orientierung ein gutes Leben zu ermöglichen.
Damit musste der Aufbau des Arbeitskreises Homosexualität in der Bezirkshauptstadt Rostock nicht gänzlich im luftleeren Raum erfolgen. Aber es gehörte dennoch viel Mut dazu – und es war für viele der hierfür Angesprochenen mit Sicherheit nicht einfach, sich unter das Dach einer evangelischen Gemeinde zu begeben. Doch dies war die einzige Möglichkeit, eine einigermaßen verbindliche Struktur aufzubauen – die Gründung eines Vereins von Homosexuellen war in Rostock bis wenige Monate vor dem Ende der DDR undenkbar.
Denn die DDR-Regierung betrachtete Zusammenschlüsse jenseits ihrer unmittelbaren Kontrolle als Bedrohung des sozialistischen Systems. Die daraus resultierende Überwachung aller Arbeitskreise Homosexualität hatte, das gilt es hier zu betonen, keine spezifisch homophobe Ausrichtung. Sie zielte vielmehr darauf, überregionale Vernetzungen zu verhindern und politische Aktivitäten oder gar die Aufstellung politischer Forderungen zu unterdrücken.
So überrascht es kaum, dass die Staatssicherheit bereits vom ersten Treffen des Rostocker Arbeitskreises am 10. Mai 1985 einen ausführlichen Bericht erhielt und in die Akte nahm. Überraschend und bestürzend ist es allerdings, dass sich in der fünf- bis sechsköpfigen Leitungsgruppe des Rostocker Arbeitskreises über längere Zeit zwei Innoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit engagierten und zugleich ausführlich über Interna berichteten. Die meisten Informationen sammelte die Staatssicherheit dabei über Detlef Kuzia, über den ein Operativer Vorgang mit dem Namen „Initiator“ angelegt und bis 1989 geführt wurde. Das heißt im Klartext, dass Schwule, die engagiert für Akzeptanz kämpften, gleichzeitig Detlef Kuzia und andere, die für das Gleiche kämpften, verrieten.
Aus dem Festvortrag von Florian Ostrop zum 30-jährigen Bestehen rat + tat rostock e.V. im März 2020